Vor ziemlich genau zwei Jahren schrieb und veröffentlichte ich hier einen Text (ich überlasse es den Fachleuten, diesen in eine Gattung einzuordnen), der durch den kürzlichen Website-Umbau noch nicht wieder ans Tageslicht gekommen war. Daher sei er hier vorab nochmal in voller Länge zitiert.
Ich habe Ihre Wand fertig gestrichen.
Ist sie rot?
Sollte sie denn rot sein?
Ja, sie sollte rot sein.
Dann ist sie rot.
Sie wussten nicht, in welcher Farbe sie die Wand streichen sollten?
Natürlich wusste ich das. Ich sollte sie rot streichen.
Das wissen Sie jetzt.
Nein, das wusste ich von Anfang an.
Wieso haben Sie dann gefragt, welche Farbe sie haben sollte, wenn Sie es doch wussten?
Ich wollte mich nur vergewissern, dass Sie sich sicher sind, dass ich die Wand wirklich rot streichen sollte.
Wieso sollte ich mir unsicher sein?
Nun, sie frugen davor, ob ich die Wand rot gestrichen hätte. Vielleicht waren Sie sich nicht sicher, ob sie nicht doch nach einer anderen Farbe gefragt hatten.
Nein, ich wollte sie rot. Ich wollte schon immer mal eine rote Wand haben.
Soll ich die anderen Wände auch direkt rot streichen?
Habe ich darum gefragt?
Nein, haben Sie nicht.
Wieso kommen Sie dann auf die absurde Idee die anderen Wände eigenmächtig auch rot streichen zu wollen?
Immerhin habe ich vorher gefragt, ob sie das überhaupt wünschen. Ich fände es jedenfalls schöner, wenn Sie alle Wände rot streichen würden.
Ja, aber das entscheide immer noch ich. Sie haben nur das zu tun, was ich Ihnen auftrage.
Soll ich nun die Wand streichen?
Welche Wand?
Die Wand, die Sie mich gebeten haben, zu streichen.
Sie haben mir doch gerade gesagt, dass sie fertig wären mit dem Streichen der Wand.
Wieso sollte ich anfangen zu streichen, wenn Sie mir noch nicht einmal gesagt haben, in welcher Farbe ich die Wand streichen soll?
Aber Sie haben mir doch gerade eben gesagt, dass sie die Wand rot gestrichen hätten.
Sollte sie denn rot sein?
Nein, nehmen Sie lieber Gelb. Das ist eine viel freundlichere Farbe. Die mag jeder.
Also streiche ich die Wand nun gelb?
Ja, gelb. Und streichen sie am besten mehrmals drüber, damit das den runtergekommenen Putz gut abdeckt.
Gelb, 2007, Thorsten Rotering
Und nun sah ich gestern Abend den Film „Im Winter ein Jahr“. Zum Verständnis des folgenden Zitats sei das wesentliche kurz skizziert: Eliane beauftragt den Künstler Max ein gemeinsames Bild von ihrer Tochter Lilli und ihrem vor einem Jahr verstorbenen Sohn zu zeichnen. Sie schlägt vor die beiden an einem Klavier zu portraitieren. Max und Lilli lernen sich im Laufe des Films immer besser kennen und nachdem das Bild fertiggestellt ist, empfinden es beide als unheimlich. Max ändert daraufhin das Bild und setzt Lilli in den Fokus, während ihr toter Bruder nur noch als Erinnerung als Bild (im Bild) an der Wand hängt. Der folgende Dialog entwickelt sich, als die Familie Max besucht, um das fertige Portrait zu betrachten:
Eliane: Versteh ich nicht. Das ist nicht das Bild, was ich bestellt hab.
Max: Nein, aber das, was sie bestellt haben, das hat sich nicht richtig angefühlt.
Eliane: Hat sich nicht richtig angefühlt? – Warum haben Sie das gemacht?
Max: Es ist besser so. […]
Eliane: Ich mein, dass muss ich mal bringen mit meinen Kunden. Och, Sie wollten eine rote Wand. Och, ich hab sie einfach gelb gestrichen. Gelb ist auch ganz schön. Wissen sie: rot hat sich nicht richtig angefühlt. […]
Lilli: Der Mann ist Künstler, kein Wandanmaler.
Im Winter ein Jahr, 2008, Drehbuch: Caroline Link / Scott Campbell
Ich weiß nicht, ob man es nachvollziehen kann, ohne den Film gesehen zu haben. Aber als ich das sah, fand ich, dass diese beiden Texte zusammen müssen. Sie wirken wie das Echo des jeweils anderen; und das nicht nur auf die Oberflächlichkeit der Farbe begrenzt.