Anfang der 1980er Jahre sitzt der junge Darius aus Wilhelmshaven vor seinem Kassettendeck und nimmt Songs aus dem Radio auf. Aus den interessantesten Songs schneidet er sich eigene Mixtapes zurecht, beschriftet und archiviert sie säuberlich. Während andere ihre Kassetten im Laufe der Zeit zugunsten von CD’s entsorgen, hat Darius seine Mixtapes auch 20 Jahre später noch. Im Jahr 2004 beschließt er, sämtliche Kassetten zu digitalisieren und die Songs auf seinem Computer zu speichern. Seine Schwester Lydia schenkt ihm damals einen Webspace, welchen er dazu nutzt, seine Playlists der Welt zu präsentieren. Dabei fällt ihm auf, dass die Informationen zu einigen Songs lückenhaft sind. Teilweise fehlen Interpret oder Titel des Liedes.
Darius und Lydia beginnen gemeinsam die Lücken durch eigene Recherchen und mithilfe der Unterstützung durch Radio- und Musikforen zu schließen. Im Jahr 2007 postet Lydia in diversen Foren eine Anfrage zu einem Song von Darius Mixtape Nr. 4. Darius hatte damals als Interpret nur ein Fragezeichen und als Titel „Blind the wind“ notiert. Dass der Song wirklich so heißt, darf allerdings bezweifelt werden. Vielmehr dürften es die ersten Wortfetzen gewesen sein, die Darius im Song meinte verstehen zu können. Darius selbst vermutet, dass er den Song im Jahr 1984 aufgenommen hat, was mit dem Erscheinungsjahr der übrigen Songs auf dem Mixtape korreliert. Zudem meint er, sich erinnern zu können, den Song von der Radiosendung „Musik für junge Leute“ des Norddeutschen Rundfunks aufgezeichnet zu haben, die er damals sehr gerne verfolgte. Die Sendung lief von 1982 bis 1984 und wurde von Paul Baskerville, einem in Deutschland lebenen, britischen Radiomoderator, moderiert. Baskerville nutzte die Sendung regelmäßig, um auch unbekanntere Bands zu präsentieren; vor allem aus seiner ehemaligen Heimat.
Lydia lädt auch einen gut 60-sekündigen Ausschnitt des Songs hoch. Genretechnisch lässt sich der Song dem New Wave zuordnen, der unter Jugendlichen Anfang der 80er populär war. Doch der Song ist so schlecht abgemischt, dass der englischsprachige Liedtext nahezu unverständlich ist. Konnten sich Lydia und Darius bisher auf die Expertise der Foren verlassen, herrscht diesmal allerdings nur allgemeines Schulterzucken. Im Jahr 2011 lädt der Nutzer redoalfo Lydias Songausschnitt bei YouTube unter dem Titel „Unknown Song – Cancion Desconocida – Track Id“ hoch, was dort allerdings wenig Beachtung findet.
Im April 2019 stolpert der junge Brasilianer Gabriel über die früheren Versuche, den Ursprung des Songs zu finden, und beschließt, Darius und Lydias Recherchen fortzuführen. Nach und nach bindet er weitere Online-Communitys ein, was dem Song stetig zunehmende Aufmerksamkeit verschafft, aber trotzdem nicht hilft, der Lösung näher zu kommen. Das bringt dem Song bald den Spitznamen „The Most Mysterious Song on the Internet“ ein. Im Juli 2019 erhält Gabriel über Umwegen eine Kopie des vollständigen Songs. Später stellt sich heraus, dass Lydia damals auf private Anfragen teilweise auch den vollständigen Song weitergegeben hat. Doch auch die Komplettversion bringt kein Licht ins Dunkel.
Im August 2019 äußert sich Paul Baskerville im Rahmen seiner Sendung (Mitschnitt bei YouTube) beim Radiosender radio eins zu dem Song, nachdem er von diversen Communitys kontaktiert wurde, ob er nicht etwas über den Song wisse, wenn er damals doch vermeintlich in seiner Radiosendung lief. Zunächst zerstreut er die Hoffnung, dass es nach so langer Zeit noch Playlists seiner damaligen Radiosendung gäbe. Er selbst könne sich auch nicht erinnern, den Song jemals zuvor gehört zu haben, geschweige denn in seiner Sendung gespielt zu haben. Er könne höchstens noch seine Schallplattensammlung durchgehen, aber wolle das nicht vor seinem Ruhestand in Angriff nehmen. Er nutzt die Sendung jedoch, um den Song noch einmal übers Radio zu spielen, und fordert seine Zuhörer auf, sich zu melden, sollte jemand etwas über diesen Song wissen. Auch hieraus ergeben sich letztlich keine neuen Erkenntnisse.
Durch die Radiosendung werden Darius und Lydia jedoch darauf aufmerksam, dass ihre 2007 begonne Recherche zu dem Song wieder in vollem Gange ist, und sie schließen sich den Online-Communitys in ihren Bemühungen, den Ursprung des Songs zu finden, an. In den folgenden Monaten nimmt die mediale Berichterstattung über den mysteriösen Song deutlich zu. Das macht die Recherchen jedoch zunehmend mühsam, da nun immer mehr Leute von sich behaupten, Urheber des Songs zu sein. Viele Behauptungen lassen sich durch die Detektivarbeit der Communitys alsbald widerlegen, in anderen Fällen wird ein Schwebezustand erreicht, bei dem die Behauptungen weder belegt noch widerlegt werden können. Ende 2019 ebbt der mediale Hype wieder ab.
Am 24. März 2021 veröffentlicht die österreichische Band 1zu1 eine deutschsprachige Cover-Version des Songs auf YouTube mit dem Titel „Demystifying the Most Mysterious Song On The Internet: 1zu1 – Wie der Wind (Like The Wind)“. Im Begleittext erklärt die Band selbstsicher, dass der Ursprung des Liedes nun geklärt sei. Es sei 1983 in Wien von Ronnie Rocket (bürgerlicher Name Ronald Iraschek) und Christian Brandl parallel in englischer und deutscher Version unter dem Titel „Like the Wind“ bzw. „Wie der Wind“ geschrieben worden. Bei der späteren Aufnahme habe Christian Brandl die Gitarre und den Bass gespielt, sowie die Vocals eingesungen, während Ronnie Rocket am Schlagzeug saß.
Zwei Tage später erscheint bei Plattentests.de ein Beitrag des Seitenbetreibers Armin Linder, der die Hintergründe dieser Behauptungen einordnet. Er schreibt, er sei durch den medialen Hype ab Mitte 2019 motiviert worden, eigene Recherchen zur Herkunft des Songs anzustellen. Dabei sei er schließlich der Spur nachgegangen, dass es sich bei dem Sänger um Christian Brandl handeln könnte, den er vor allem durch sein Mitwirken in der österreichischen Band Chuzpe kannte. Christian Brandl verstarb allerdings bereits 1987 an den Folgen seiner Drogensucht. Er kontaktierte Menschen, die Brandl gut kannten, und befragte sie, ob es sich um seine Stimme handeln könne. Die Rückmeldungen hätten unterschiedlicher nicht ausfallen können: während einige glaubten, dass es sich um Brandls Stimme handle, waren andere wenig überzeugt. Insbesondere sein früherer Chuzpe-Band-Kollege Robert Wolf sagte: „Ich schließe Christian nach wie vor aus – Stimme zu tief und kräftig“. Linder kontaktierte das Wiener Tonstudio, in dem Brandl den Song aufgenommen haben könnte, allerdings war auch dessen Besitzer Fred Jakesch mittlerweile verstorben und die Nachfolger konnten kein Archiv aus der damaligen Zeit ausfindig machen.
Eine heiße Spur ergab sich, als Linder Ronald Iraschek kontaktierte, der zusammen mit Brandl Anfang der 80er in der Band Underground Corpses spielte. Zunächst konnte dieser mit dem Song auch nichts anfangen; später erinnerte er sich dann jedoch überraschend daran, den Song zusammen mit Brandl geschrieben zu haben. Er habe dies nur wieder vergessen, da es ja schließlich die 80er waren. Seiner Geschichte zufolge, schickte er Brandl 1983 eine neue Gitarre als Weihnachtsgeschenk, da er sich immer beklagt habe, ohne Gitarre nicht komponieren zu können. Daraufhin lud Brandl ihn am 27. Dezember zu sich nach Hause ein. Nach einer Kegelpartie und einigen Kirsch-Rum-Cola hätten sie den Song in englischer und deutscher Sprache in einer spontanen Session in Brandls Apartment geschrieben. Er habe aber zuvor noch nie eine vertonte Version davon gehört. Passenderweise fand Iraschek daraufhin in seinem Keller noch einen alten Bandflyer, auf dessen Rückseite der deutschsprachige Text des Liedes mit einer Schreibmaschine getippt war (Foto bei Plattentests.de).
In einem weiteren Moment der Erkenntnis erinnert sich Iraschek einige Zeit später nun daran, sogar selbst im Tonstudio gewesen zu sein, um den Song mit ihm am Schlagzeug einzuspielen. Der längere, monotone Mittelteil ohne Gesang sei demnach für ein Saxophon-Solo von Heinz Hochrainer gedacht gewesen. Dazu sei es aber nicht mehr gekommen und das Projekt wurde danach nicht mehr weiter verfolgt. Iraschek gibt zu, dass seine Geschichte zur Entstehung des Songs mittlerweile ziemlich abenteuerlich klingt, doch was solle er davon haben, sich diese Geschichte auszudenken. Später meldet Iraschek den Song bei der österreichischen Verwertungsgesellschaft ARM als Werk von ihm und Brandl offiziell an.
Erst im März 2021 gelingt es Linder telefonischen Kontakt zu besagtem Heinz Hochrainer aufzunehmen. Dieser erklärt, Ende 1983 oder Anfang 1984 selbst bei der Aufnahme von Brandl und Iraschek im Studio bei Jakesch dabei gewesen zu sein. Er sollte in der Tat später ein Saxophon-Solo beisteuern, zudem wurde noch eine Überarbeitung des Keyboards oder Chöre diskutiert. Aber das Projekt wurde nach dem ersten Studiotag leider nicht mehr weiter verfolgt. Der Song sei demnach eine unfertige Zwischenversion, die jemand auf Kassette oder Tonband kopierte.
Ob die Geschichte von Iraschek, die bislang nur von der Aussage von Hochrainer und einem leicht fälschbarem Foto des deutschen Songtextes gestützt wird, der Wahrheit entspricht, möge jeder für sich entscheiden. In den Online-Communitys überwiegen jedenfalls die Zweifler, doch vielleicht wollen die letztlich auch nur den Mythos um den Song aufrecht erhalten. Iraschek hat mit der Anmeldung des Songs bei der ARM jedenfalls Fakten geschaffen, die solange Bestand haben, bis ein anderer Urheber vortritt und die Urheberschaft notfalls gerichtlich anzweifelt. Wenn die Geschichte von Iraschek stimmt, wäre es aber wiederum ein Mysterium, wie es eine Demoaufnahme eines unfertigen Songs aus Wien in eine Radiosendung des Norddeutschen Rundfunks schaffte.